Flugtagebuch zum German Open: Nathan, Seb (und ein paar Pizzen auch)

Tauche ein in die Welt hinter den Kulissen der IAM German Open mit Nathan und Seb: ein spannendes Gedächtnisturnier, beeindruckende Leistungen, Nervenkitzel, Spaß … und ein paar Pizzen. Spoken Numbers, Memory League und clevere Strategien stehen auf dem Programm!

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Weitere Details finden Sie direkt auf der Veranstaltungsseite : memoryxl.de


Mnemotechnischer Abflug: Ein Abenteuer ab 6 Uhr morgens!

Aufstehen um 6 Uhr, um den Flieger um… 8:45 Uhr zu erwischen! Okay – aber vorher standen noch 1,5 Stunden RER-Fahrt bis zum Flughafen an. Das dauert länger als sich dienstagabends zum Training auf Discord einzuloggen!

Beim Boarding gab’s keine Probleme, aber unser Haargel wurde an der Sicherheitskontrolle konfisziert (wir durften es entweder trinken… oder dalassen). Und als sie mich mit meinem Arm in der Schlinge sahen, kümmerten sich gleich drei Leute um mich. Nicht um mir zu helfen, nein – sondern um zu überprüfen, ob sich in meinen Bandagen Drogen versteckten… oder schlimmer noch: Haargel!

Das Flugzeug hebt ab. Nathan ist super begeistert, ich eher etwas gelangweilt. Klar, so ein Riesending rast bis zum Auftrieb und wird dann wie ein Angry-Birds-Vogel katapultiert – 1,5 Stunden lang bis nach Deutschland… aber ehrlich gesagt: Ich habe fast den ganzen Flug verschlafen. Der Wecker um 6 Uhr war einfach zu früh.


Zwei Franzosen, ein Park und eine fliegende Flasche

Angekommen vor Ort hatte Nathan den ganzen Weg bereits perfekt ausgekundschaftet – und wir waren über zwei Stunden zu früh da! Die Schule, die uns empfängt, ist schön und groß, und da es Freitag ist, schwirren sogar ein paar Jugendliche in der Nähe herum. Wir beschließen, uns in einem Park niederzulassen, um ein kleines Nickerchen zu machen oder noch ein paar letzte Feineinstellungen für die IAM-Wettbewerbe vorzunehmen.

Nathan wird abrupt geweckt – von ein paar Jugendlichen, die sich gegenseitig mit einer Flasche Wasser bespritzen. Und ich? Ich habe nur Angst um meinen Laptop! Kurz gesagt: Wir beschließen, woanders hinzugehen. Außerdem ziehen trotz der sommerlichen Hitze erste schwere Regenwolken auf.

Wir entscheiden uns, die Wettkampfstätte näher in Augenschein zu nehmen. Der Empfang ist zwar erst für 15 Uhr angekündigt, aber vielleicht lassen sie uns ja früher rein? Vor der Schule sind wir uns nicht ganz sicher, ob wir richtig sind: Kein Aushang, kein Hinweis. Unser Zweifel wächst, als wir eine Lehrerin fragen, die gerade ins Gebäude geht… Sie weiß nichts von einer Veranstaltung! Auweia.

« Aber würden Sie uns vielleicht trotzdem reinlassen, um selbst nachzusehen? Wir haben großen Durst – und es fängt gerade an zu regnen! »

Die Lehrerin, sehr freundlich, führt uns in ein Klassenzimmer und bietet uns etwas zu trinken an. Eine andere Lehrerin überrascht uns dort mit einem perfekten Französisch! Kurz darauf kommen weitere Leute hinzu, die bestätigen, dass sie über die Veranstaltung informiert sind, und uns beruhigen: Wir sind tatsächlich am richtigen Ort. Zwei Stunden zu früh – aber immerhin angekommen!

Die Leute sind unglaublich liebenswürdig. Alle sehr herzlich und offen, außer diejenigen, die weder Englisch noch Französisch sprechen – sie wirken etwas zurückhaltender, aber auch sie scheinen ehrlich bemüht, uns zu helfen.


Kunst in den Fluren…

Die Schule ist groß, sauber, und Nathan entdeckt in den Fluren viele bekannte Gemälde. Es handelt sich um Schülerkopien – aber so gut gemacht, dass er sie auf Anhieb erkennt. Ich bewundere sein kunsthistorisches Wissen, und er gesteht mir, dass er leidenschaftlich an Kunst interessiert ist – eine Seite von ihm, die ich bis dahin nicht kannte. Nach dem Wettbewerb hat er übrigens geplant, noch einen Tag dranzuhängen, um München zu besichtigen und die Reise richtig auszukosten.

Wir werden dann in ein Klassenzimmer geführt, wo es Getränke gibt, mit einem großen Tisch auf dem Flur, an dem wir uns niederlassen. Es ist zwar nicht mehr der Park mit seinen Bäumen und dem Licht, aber die Atmosphäre ist automatisch konzentrierter. In diesem Teil der Schule sind kaum noch Schüler – wahrscheinlich haben sie schon Ferien. Die Temperatur steigt langsam, und die dunklen Wolken? Die haben sich aus dem Staub gemacht… In Richtung Frankreich? Ich bezweifle es. Oder sie haben sich einfach unterwegs aufgelöst.

Schüler sind keine zu sehen, aber ein distinguiert wirkender Mann kommt vorbei, begrüßt uns freundlich und wechselt ein paar Worte, bevor er wieder geht – wir warten ja noch auf den offiziellen Empfang. Es war der Schulleiter. Das hätte ich mir eigentlich gleich denken können, bei seiner Haltung und der ruhigen Autorität, die er ausstrahlte.

Gegen 15 Uhr passiert dann endlich etwas. Wir merken es an einem ungewohnten Geräusch aus einem nahegelegenen Raum:

« Drei… zwei… eins… A… B… C… 3, 1, 4, 1, 5, 9… »

Jemand hat mit einer Spoken-Numbers-Disziplin begonnen!


Ein Raum, ein Schiedsrichter und bekannte Gesichter

Konstantin kommt aus dem Klassenraum! Er trägt ein breites Lächeln, mit einem Hauch Zurückhaltung – offenbar ahnt er, dass wir die Franzosen sind, die zum Wettbewerb angereist sind. Der Mann ist sehr elegant, wirkt recht jung, schlank, groß, sportlich. Wie ein Fernsehmoderator. Er wird der Schiedsrichter sein und die Wettbewerbe während des gesamten Open leiten. Diese Rolle passt ihm perfekt.

Weitere Athleten treffen ein, und bald ist die Gruppe für heute komplett… na ja, fast. Céline De Luca hätte eigentlich dabei sein sollen, aber sie hatte kurzfristig einen anderen Termin. Schade für die Frankophonie – aber das lässt auch ein wenig mehr Raum für Podiumsträume… vor allem für Nathan, der ein internationales Niveau hat!

Unter den anderen Teilnehmern erkennen wir einige bekannte Gesichter vom Open de France wieder, insbesondere Susanne, die damals fast die 4000 Punkte erreicht hatte – und sie wird sie diesmal übertreffen! Auch Norbert und Melanie sind da, die beim letzten Mal knapp vor Nathan gelandet waren. Man spürt eine gewisse Revanche in der Luft…

Ein junger Mann fällt uns besonders auf: Er scheint erst 17 zu sein und tritt gegen all diese erfahrenen Athleten an. Das ist Lukas. Er wirkt ruhig, konzentriert und trägt ein entspanntes Lächeln, das deutlich macht – er ist nicht zufällig hier…


Von Spoken Numbers bis zum Kartenschweiß

Der Wettbewerb beginnt! Und schon in den ersten Disziplinen zeichnen sich klare Tendenzen ab.

Spoken Numbers

Diese Disziplin ist kein Spaß. Zahlen werden im Sekundentakt vorgelesen – und wenn du sie nicht innerhalb einer Sekunde codieren kannst… hast du verloren. Man muss in der Lage sein, 60 Zahlen pro Minute zu verarbeiten, um überhaupt mithalten zu können.

Alle anwesenden Teilnehmer legen los – selbstbewusst und erfahren. Die deutschen Wettkämpfer sind eindeutig keine Anfänger.

Susanne setzt sofort ein Ausrufezeichen mit einer außergewöhnlichen Leistung: 86 korrekt memorierte Spoken Numbers! Nathan liegt mit 46 direkt dahinter.
Aber zur Anekdote… in Wirklichkeit hatte er bis zur 146. Ziffer alles richtig! Ein kurzer Zweifel bei der 47. Zahl ließ ihn jedoch alles verlieren. Ohne dieses Zögern hätte er den französischen Rekord (124, gehalten von Guillaume de Gabory seit 2021) gebrochen. Ärgerlich. Aber das wird sicher nachgeholt.


Names und Words

Die anderen Disziplinen verlaufen in ähnlicher Atmosphäre. Nathan landet jedes Mal in den Top 4 – außer bei den Disziplinen Names und Words, die besonders frustrierend waren. Die Deutschen glänzen hier regelrecht. Für sie ist es fast peinlich, weniger als 40 Wörter zu erreichen! Dabei bringen gerade diese Disziplinen viele Punkte für das Podium.

Ihr nationaler Rekord? 140 Wörter (Johannes Mallow). Unserer? 84 (Guillaume Petit-Jean). Und Dana, eine der Top-5-Deutschen in dieser Disziplin, ist ebenfalls dabei… Es ist also klar: Diese Runde wird heftig.

Ich persönlich komme auf 44 Wörter – gar nicht so schlecht, aber ich lande trotzdem auf dem vorletzten Platz. Das bringt mir 287 Punkte ein, was angesichts des hohen Niveaus immer noch respektabel ist.


Historische Daten

Die Hoffnung auf eine Trophäe lebt weiter… aber Nathan tut sich schwer, sich entscheidend abzusetzen. Selbst in seinen Paradedisziplinen wird er eingeholt.
Dann kommt die Disziplin Historic Dates.

Nathan ist heiß.
« Ich fühl mich wie ein Hai, let’s go! »

Diese Disziplin ist für uns immer etwas heikel. Wir sind nicht im Heimspiel-Modus, und die Qualität der Übersetzungen kann immer einen leichten Bias verursachen. Nathan hat das Potenzial, den französischen Rekord zu brechen. Der wird noch immer von Sylvain Arvidieu, dem Mann der tausend Rekorde, gehalten: 109 Daten, ungeschlagen seit 2018.

Die Übung beginnt. Yaks, Wale, Kometen… alles rauscht in fröhlichem Chaos vorbei. Die Deutschen bleiben völlig unbeeindruckt – für sie ist das buchstäblich ein Spiel.
Die Übersetzungen sind gut, aber es gibt deutlich mehr Wiederholungen als in den französischen Sets. Ergebnis: Ich habe gleich mehrere Wale… und riesige Zweifel, welche Daten ich ihnen zuordnen soll.

Jeder Fehler kostet Punkte. Und im Zweifel… habe ich meine Daten einfach auf alle passenden Einträge verteilt. Schlechte Idee.
Ich hatte 42 Daten memoriert, etwa zwanzig davon wiedergefunden.
Das Endergebnis: 9.
Die Strafpunkte haben richtig wehgetan. Ohne sie hätte ich meinen Punktestand glatt verdoppelt.

Und Nathan?
Auch er hatte mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen, hat sie aber besser gemeistert. In dieser Disziplin schafft er es tatsächlich, alle Daten innerhalb der Zeit komplett durchzugehen – schon das ist eine Leistung für sich.
Trotzdem ist er enttäuscht: 72 Daten – nicht das, was er sich erhofft hatte.
Doch um ihn herum blicken die deutschen Athleten überrascht, respektvoll… und manchmal sogar ein wenig bewundernd. Denn trotz seiner Frustration ist es Nathan, der den Bestwert der gesamten Disziplin erzielt.


Speed Cards: Die letzte Disziplin

Letzte Etappe. Nathan liegt Kopf an Kopf mit Melanie im Kampf um Platz vier.
Diese letzte Disziplin ist gnadenlos – sowohl kognitiv als auch nervlich.

Alle sind erschöpft. Die Disziplinen haben sich aneinandergereiht, die Hitze ist drückend, und das kleine Klimagerät in der Ecke reicht nicht aus, um die Köpfe zu kühlen.
Doch vor allem erfordert diese Disziplin Strategie: Man muss den richtigen Moment wählen, um mit dem Memorieren zu beginnen – manche warten absichtlich, um die Merkdauer zu verkürzen. Riskant, denn wer die Gesamtzeit überschreitet, wird gnadenlos gestoppt.

Nathan muss 30 Punkte mehr als Melanie erzielen, um aufs Podium zu kommen. Es bleibt nur eine Möglichkeit: 52 Karten in weniger als 47 Sekunden merken. Ein echter Kraftakt.
Weltweit haben das etwa 210 Personen bei IAM-Wettbewerben geschafft… und Nathan gehört dazu. Er hat einmal 52 Karten in 30,75 Sekunden auf Memory League geschafft.

Aber an diesem Tag…
Es ist knapp. Sehr knapp.
Und es reicht nicht.

Susanne gelingt das Kunststück – sie validiert genau 47 Sekunden und holt sich den ersten Platz in dieser Disziplin.
Nathan memoriert ebenfalls die 52 Karten, aber in 52 Sekunden, wird Zweiter in der Übung…
und Vierter in der Gesamtwertung.


Nach dem Wettkampf… Pizza und Eis

Nach dem Open gingen wir gemeinsam ins Restaurant, um das Abenteuer bei einem guten Essen ausklingen zu lassen. Die perfekte Gelegenheit, die deutschen Gedächtnissportler besser kennenzulernen.
Man muss sagen: Sie hatten mit ihrer herzlichen Gastfreundschaft nicht bis zum Ende der Veranstaltung gewartet – schon während der Wettkämpfe hatten sie uns Pizza und Eis spendiert!

Eine wunderbare Erinnerung daran, dass echter Wettkampfgeist niemals die Kameradschaft verdrängt – besonders nicht in der Welt des Gedächtnissports.


Was ich daraus mitnehme… und Nathan?

Für mich persönlich bleiben vor allem drei Dinge hängen:
die Bedeutung von Strategie während der Disziplinen, die kluge Strukturierung des Turnierablaufs, und der vorbildliche Empfang durch unsere Gastgeber – Freundlichkeit, Großzügigkeit und ein beeindruckendes Niveau in allen Gedächtnissportarten.

Und Nathan?
Am besten fragt ihr ihn direkt.

Aber wenn ihr denkt, ihr hättet schon jemanden getroffen, der zugleich cool, offen und in… nun ja… allem ziemlich stark ist, dann kennt ihr entweder Nathan noch nicht –
oder ihr denkt gerade genau an ihn.

Bis bald und bleibt gesund!